02.09.2021rss_feed

Staatshilfe oder freier Markt – wie sieht die Zukunft der Nutztierhaltung aus?

vl: Prof. Michael Schmitz, Minister a.D. Jochen Borchert, Sönke Hauschild (Moderator), Jörg Struve, Dr. Michael Lendle, Michael Petersen, Georg Geuecke (BRS-Vorsitzender)
© Dorothe Warder (BRS)

vl: Prof. Michael Schmitz, Minister a.D. Jochen Borchert, Sönke Hauschild (Moderator), Jörg Struve, Dr. Michael Lendle, Michael Petersen, Georg Geuecke (BRS-Vorsitzender)

Am Vortag seiner ordentlichen Mitgliederversammlung hat der Bundesverband Rind und Schwein e.V. (BRS) am 30. August 2021 nach Neumünster eingeladen. 250 Teilnehmer folgten der Einladung. Fünf Referenten waren aufgefordert, die Möglichkeiten eines professionellen Umgangs mit steigenden Herausforderungen darzustellen. Und davon gibt es reichlich, führte der Moderator Sönke Hausschild in die Tagung ein. Neben der Diskussion über die Folgen des Klimawandels und notwendige Anpassungsstrategien, wird ein Gesellschaftsvertrag zur Sicherung der heimischen Tierhaltung gefordert, der in Rahmen einer Nutztierstrategie und einer Zukunftskommission vorbereitet wird.


Minister a.D. Jochen Borchert nutzte die Gelegenheit, um die Empfehlungen des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung vorzustellen. Der Druck auf die Tierhalter werde nicht sinken, ist Borchert überzeugt. Gleichzeitig sieht er vor allem die Politik in der Pflicht. Wenn eine Gesellschaft mehr Tierwohl über den gesetzlichen Standard hinaus fordere, dafür aber nicht bezahlen wolle, sei ein starker Ausbau der zielorientierten staatlichen Förderpolitik erforderlich. Andernfalls provoziere man einen weiteren Strukturwandel und gefährde eine regionale Versorgung. Der Wille zum Wandel sei da; die Vorbereitung sei gemacht. Jetzt gelte es, die von nahezu allen politischen Parteien und Nichtregierungsorganisationen einhellig begrüßten Änderungen in der neuen Legislaturperiode voranzutreiben und im neuen Koalitionsvertrag verbindlich zu verankern. Prof. em. Michael Schmitz, Agrarökonom an der Universität Gießen, griff den Ball auf und äußerte erhebliche Zweifel, dass eine auskömmliche finanzielle Honorierung der betrieblichen Mehrkosten und eine verbesserte Akzeptanz des Sektors in der Öffentlichkeit realisierbar seien. Seine Kritik richtete sich aber weniger gegen die Empfehlungen der Borchert-Kommission, als gegen Ergebnisse der Finanzierungsstudie und Ziele der Zukunftskommission. Er forderte eine ehrlichere Modellierung der Folgen auf Basis geeigneterer Prognosemodelle. Zudem forderte er mehr Skepsis gegenüber der Forderung, den Verbrauch und die Produktion tierischer Erzeugnisse aufgrund vermeintlicher Gesundheits-, Umwelt- und Ressourcenvorteilen zu reduzieren. Eine transparente Abwägung von Kosten und Nutzen sowie die Berücksichtigung von Leakage- und Reboundeffekten seien dringend geboten. Als Gunstregion müsse sich Deutschland intensiver an der Welternährung beteiligen und dürfe durch Extensivierung keine Treibhausgasemissionen in Drittländer verlagern.

Warum es sich trotz der steigenden Anforderungen lohnt in mehr Tierwohl zu investieren, berichteten der Schweinehalter Jörg Struve und der Milchviehalter Michael Petersen. Der Betrieb Struve orientierte sich dabei an den Forderungen des BMEL-Beirates, der bereits 2015 Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung skizziert hatte. Herausgekommen ist ein Tierwohlstall der Haltungsstufe III, der ihm Vermarktungswege mit deutlichen Mehrerlösen ermöglichte. Aufgrund der sehr positiven Erfahrungen für Tier und Mensch möchte der Betrieb diesen Weg konsequent weitergehen. Dafür wünscht er sich Rahmenbedingungen, die Planungssicherheit und den Erhalt des Standortes garantieren. Ausschlaggebend für die Investitionen des Betriebes Petersen dagegen war eine erfolgreiche Bewerbung um Fördermittel aus dem Agrarinvestitions-Förderprogramm Schleswig – Holstein. Ohne diese Förderung wird es für Betriebe schwer, derartige Investitionen zu stemmen, zumal der volatile Milchmarkt ein hohes Risiko berge, ist der Betriebsleiter überzeugt. Finanzielle Sicherheit durch Fördermittel kann die Entscheidung zu Gunsten von mehr Tierwohl deutlich verbessern.

Dr. Michael Lendle, Geschäftsführer der AFC Consulting Group, bedankte sich bei seinen Vorrednern für die vielen Steilvorlagen, die die kommunikativen Herausforderungen der Branche dokumentieren. Er warb eindringlich für Änderungen bei der Branchenkommunikation, die eine bessere Vernetzung und Abstimmung erfordere. Dabei müsse nicht nur der unterschiedliche Informationsbedarf relevanter Zielgruppen berücksichtigt werden, sondern auch die darauf abgestimmten Instrumente. Am Beispiel der Tiertransporte in Drittländer machte er deutlich, dass eine Kommunikation zu kritischen Themen eine Strategie und ein Konzept braucht. Der Kommunikationsprofi Lendle forderte die Branche auf: Habt mehr Mut, laut zu kommunizieren.