21.04.2023rss_feed

BRS-Fachtagung in Bad Wildungen: Mut zur Tierhaltung

Podiumsdiskussion am 17.04.2023 in Bad Wildungen mit den Referenten Finn Lüschen - Strudthoff, Marianne Albersmeier, Prof. Enno Bahrs und Kasten Schmal (Fotoquelle: Dorothee Warder, BRS)

Die deutsche Landwirtschaft hat Ende 2022 als einzige Branche ihre Ziele bei den Treibhausgasemissionen erreicht. Nachhaltigkeit ist aber viel mehr als ein C02-Fußabdruck. Das wurde auf der Fachtagung des Bundesverbandes Rind und Schwein e.V. (BRS), die am 17. April im hessischen Bad Wildungen stattfand, deutlich. An der Tagung nahmen mehr als 200 Experten teil.


Tierhaltung ist kein Auslaufmodell
Karsten Schmal, Präsident des Hessischen Bauernverbandes und Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes anlässlich der BRS-Fachtagung in Bad Wildungen (Fotoquelle: Dorothee Warder, BRS)

Karsten Schmal, Präsident des Hessischen Bauernverbandes und Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes, der mit seiner Familie einen Betrieb mit rd. 220 Milchkühen in Waldeck-Frankenberg bewirtschaftet, ist sich sicher: Tierhaltung in Deutschland ist kein Auslaufmodell. Er wünscht sich hierfür aber mehr Unterstützung aus Berlin, um allen Betrieben eine Perspektive bieten zu können. Keinem Politiker könne ernsthaft daran gelegen sein, eine leistungsfähige, heimische Schweine-, Rinder- und Geflügelhaltung zu zerschlagen und stattdessen auf Lebensmittelimporte angewiesen zu sein. Die deutsche Land- und Ernährungswirtschaft genieße international einen exzellenten Ruf.


Nachhaltigeres Handeln benötigt klare Signale

Prof. Dr. Enno Bahrs (Fotoquelle: Dorothee Warder, BRS)

Prof. Enno Bahrs, Agrarökonom der Universität Hohenheim, ist davon überzeugt, dass kein Landwirt an einer nachhaltigeren Ausrichtung seines Betriebes herumkommt. Die planetaren Grenzen vieler der für uns maßgeblichen Ökosysteme seien bereits überschritten. Nachhaltigkeit fuße auf den Säulen Ökologie, Soziales und Ökonomie. Es sei gut, dass die EU auch bei der Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen Standards für mehr Nachhaltigkeit anstrebe, weil die Vielzahl an Labeln Verbraucher mehr verwirren als aufklären können. Eine angemessene Transparenz sei derzeit nicht gegeben. Wenn es gelänge, ein EU-weites einheitliches Nachhaltigkeitslabel zu etablieren, seien unklare Aussagen über die Umwelt-/Naturvorteile von Produkten und Dienstleistungen künftig besser vermeidbar. Allerdings machte Bahrs auch auf die zahlreichen Zielkonflikte aufmerksam, die sich u.a. aus den sich ändernden gesellschaftlichen Wünschen an gesunde, bezahlbare und qualitativ hochwertige Lebensmittel ergäben. Die Festlegung von Indikatoren in den drei Säulen der Nachhaltigkeit sei vermutlich ohne blaue Flecken für einzelne Beteiligte nicht zu haben. Das zeige z.B. die Bedeutung der Gesellschaft für Tierwohl; ein Kriterium, das er in der Säule Soziales verorte. Auch müsse davon ausgegangen werden, dass mehr Nachhaltigkeit auch für höhere betriebswirtschaftliche Kosten, aber idealerweise für geringere volkswirtschaftliche Kosten sorge. Dabei sollte darauf geachtet werden, das höhere Maß an erforderlicher Dokumentation mit modernen Werkzeugen zu entlasten.

Die Taxonomieverordnung ist mit den Grundsätzen einer nachhaltigen Finanzierung nach Meinung des Agrarökonomen eine wesentliche Maßnahme zur Umsetzung und Finanzierung einer nachhaltigeren Wirtschaft in der EU. Allerdings war für den Fachmann auch klar: Wer grün handelt, aber rote Zahlen schreibt, kann der Gesellschaft langfristig nicht nachhaltig dienlich sein…


Ökologische Intensivierung: aus beiden Systemen das Beste vereinen
Marianne Albersmeier (Fotoquelle: Dorothee Warder, BRS)

Marianne Albersmeier aus Hüttinghausen stellte im Rahmen einer Betriebsreportage die Umstellung eines klassischen modernen Mastschweinebetriebes zu einer Schweinehaltung auf Stroh vor. Die IT-Technikerin fand als Quereinsteigerin Zugang zur Landwirtschaft und bewirtschaftet gemeinsam mit ihrem Ehemann Klaus den landwirtschaftlichen Betrieb in der vierten Generation.

Die Tiere werden bis zu 150 kg gemästet, wodurch das Fleisch eine besondere Textur entwickelt, die Tiere aber auch mehr Futter benötigen. Das Platzangebot ist doppelt so groß wie gesetzlich vorgeschrieben und der Tiergesundheit wird allerhöchste Priorität eingeräumt. Der Betrieb achtet auf regionale Kreisläufe mit Ferkelbezug aus der Nachbarschaft und dem Einsatz heimischer Eiweißträger. Der Strom wird zu 100 Prozent ökologisch erzeugt. Durch ökologische Intensivierung mit einer erweiterten Fruchtfolge und intensiviertem Zwischenfruchtanbau mit Untersaaten soll eine Art von Hybridlandwirtschaft – das Beste aus beiden Systemen – etabliert werden.

Mehr Tierwohl gibt es nicht zum Nulltarif, warnte die Landwirtin. Es mussten zwei zusätzliche Mitarbeiter eingestellt werden, und der Fuhrpark wurde um zwei Teleskoplader und einen zusätzlichen Trecker aufgestockt, wodurch sich der Dieselverbrauch nahezu verdoppelt hat. Der Betrieb verbraucht pro Jahr ungefähr 4.000 Rundballen Stroh.


Mit Treibhausgasrechner C02-Emissionen optimieren
Finn Lüschen-Strudthoff (Fotoquelle: Dorothee Warder, BRS)

Finn Lüschen–Strudthoff, auf Instagram als "dorfjunge" bekannt, stellte den Betrieb seiner Eltern Karin und Dirk Lüschen-Strudthoff in Hatten-Tweelbäke Ost (Landkreis Oldenburg) vor. Dort bewirtschaftet die Familie einen insgesamt 123 Hektar großen Betrieb mit 135 Milchkühen und 130 weiblichen Nachzuchttieren mit einer außergewöhnlichen Herdenleistung von rd. 12.000 Kilogramm pro Kuh und Jahr bei einem Fettgehalt von 3,82 Prozent und einem Eiweißgehalt von 3,43 Prozent. Die Milch wird an die Molkerei Ammerland eG geliefert. Der Junglandwirt vertrat selbstbewusst die These: Nur mit nachhaltiger Milcherzeugung wird es in Zukunft noch Milchviehbetriebe in Deutschland geben.

Er stellte die Betriebsentwicklung seit 2012 (Bau des ersten Boxenlaufstalls für 60 Milchkühe) bis 2020 (Bau des 2. Boxenlaufstall mit zwei Melkrobotern) vor und ging dabei insbesondere auf die Maßnahmen ein, die die Familie nach der ersten Treibhausgasberechnung mit dem Rechentool TEKLa der Landwirtschaftskammer Niedersachsen durchgeführt hat. Diese führten zu einer besseren Futteraufnahme und sparten Energie ein. Es wurde in mehr Kuhkomfort und in eine weitere PV-Anlage für die Stromeigenerzeugung investiert. Diese Investitionen zahlten sich aus. Die C02 Emissionen sanken innerhalb von sechs Jahren um 165 g C02e je Kilogramm Energie korrigierte Milch auf 755 Gramm im Jahr 2022. Der Betrieb will noch besser werden und investiert in Technik, Biogas, erneuerbare Energien inkl. Stromspeicher sowie weiteren Kuhkomfort und Ammoniakbindung.

Der leidenschaftliche Junglandwirt investiert viel Zeit in die eigene Öffentlichkeitsarbeit und erklärt den Followern auf Instagram und @myKuhtube seinen landwirtschaftlichen Alltag.


Chancen erkennen und aktiv gestalten
Pelz Thaller

Mit Humor und Tiefgang erklärte Persönlichkeitstrainerin und "Mentalbäuerin" Elke Pelz-Thaller den Tagungsteilnehmern in Bad Wildungen, wie die Landwirtschaft zu einer höheren Wertschätzung und Wertschöpfung gelangen kann. Sie stellte den Teilnehmern vier Erfolgswerkzeuge für Mensch und Betrieb vor. Frau Pelz-Thaller ist sich sicher, dass nur die Betriebe erfolgreich sein können, die mit Liebe und Leidenschaft arbeiten und für ihr Tun die Verantwortung übernehmen. Sie appellierte an die Zuhörer, ihre persönliche Komfortzone zu verlassen und offen für Veränderungen zu sein und wie ein Adler Chancen auszuloten, Projekte motiviert und engagiert zu betreuen und den Erfolg aktiv positiv mitzugestalten. Auf jede Aktion erfolgt eine Reaktion, und dafür sei man häufig selbst verantwortlich. Wer andere respektiere, dürfe das auch für sich einfordern. Wer ehrlich sei, dürfe das auch für sich selbst erwarten. Jeder Betrieb sei so verschieden, wie die Menschen, die dort arbeiten und davon leben. Auch wenn es keine Patentrezepte gäbe, Chancen gebe es immer.


Mutmacher braucht das Land

Georg Geuecke, Vorsitzender des Bundesverbandes Rind und Schwein e.V., bedankte sich bei allen Referenten für ihre mutmachenden Vorträge und das Engagement in der Öffentlichkeitsarbeit. Unsere Landwirte erzeugen nicht nur hochwertige Nahrungsmittel, sondern sie erfüllen zahlreiche weitere gesellschaftlich erwünschte Funktionen. Sie erhalten die Bodenfruchtbarkeit, schonen Ressourcen, sparen mineralische Düngemittel ein und fördern die Biodiversität im ländlichen Raum. Tierhaltung sichert das familiäre Einkommen und leistet einen wesentlichen volkswirtschaftlichen Beitrag ländlicher Räume. Im biologischen Landbau ist die Tierhaltung unverzichtbar.


open_in_newHeinz Georg Waldeyer, Wochenblatt Westfalen Lippe, 18.04.23: Fachtagung des Bundesverbandes Rind und Schwein (BRS) - Mut zur Tierhaltung